Im Jahre 1929 veröffentlichte der Berliner Schriftsteller Franz Hessel ein Buch mit dem Titel “Spazieren in Berlin”. Als Flaneur in der eigenen Stadt bemühte er sich, Abstand zwischen sich und dem ihm Vertrauten zu schaffen. In der 1984 im Arsenal Verlag unter dem Titel “Ein Flaneur in Berlin” erschienenen Neuauflage des Buches – angereichert mit Fotografien von Friedrich Seidenstücker, einem “Waschzettel” von Heinz Knobloch sowie Walter Benjamins “Die Wiederkehr des Flaneurs” – lesen wir von einer touristischen Rundfahrt durch die eigene Stadt.
“Unter den Linden nahe der Friedrichstraße halten hüben und drüben Riesenautos, vor denen livrierte Männer mit Goldbuchstaben auf ihren Mützen stehen und zur Rundfahrt einladen; drüben heißt ein Unternehmen ‘Elite’, hüben ‘Käse’. Bequemlichkeit oder natürliches Kleinbürgertum? – Ich wähle ‘Käse’.
Da sitze ich nun auf den Lederpolstern, umgeben von echten Fremden. …” (Franz Hessel. Ein Flaneur in Berlin, S. 51)
Seitdem ich Hessels Text vor über 30 Jahren zum ersten Mal las, hatte ich mir vorgenommen, mich selbst einmal zwischen richtigen Fremden durch die “eigene” Stadt chauffieren zu lassen.
Nun, inzwischen heißt das Unternehmen nicht mehr ‘Käse’, sondern die Hop-on Hop-off Tour wird schlicht als “Klassische Tour durch die Berliner City” vermarktet. Auf den roten Stoffsitzen leuchten blau-gelbe Sonnen und in gelber Schrift steht dort “City Sight Seeing” (Hessel: “Welch eindringlicher Pleonasmus!”). Abfahrt ist in der Tauentzienstraße und die original Westberliner Stadtführerin wohnt in meiner Nachbarschaft.
Man entdeckt Neues auf einer Tour durch Straßen, in denen man seinen Alltag zu gestalten versucht. Dennoch ist es gar nicht so einfach, die eigene Stadt als Tourist zu erkunden und sich wieder als richtiger Fremder zu fühlen. Selbst wenn es mit der eigenen Vertrautheit noch gar nicht so weit, nämlich nicht einmal anderthalb Jahre, her ist.
Doch das Vertraute holt mich schneller als erwartet wieder ein, als sich gegen Ende der Tour der alltägliche Regenguss in diesem verregneten Sommer ankündigt.
Dennoch: sehr informativ; zudem eine interessante Erfahrung, ab und zu mal etwas künstlichen Abstand herzustellen, um nicht den Überblick zu verlieren.